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Coaching eines Managementteams im Veränderungsprozess

Kein Change ist zu klein, um nicht auf allen Ebenen entfremdende Impulse auszulösen. Wenn das Management-Team die Richtung eindeutig vorgeben soll, hilft ein Team-Coaching in der Definition dieser Eindeutigkeit.

15.12.2015Gerhard Liska

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Als methodisches Format ist das Team-Coaching relativ jung. Daher gibt es nur wenige reflektierte Fallbeschreibungen. In diesem Artikel werden Einsatzmöglichkeiten, Potenziale und mögliche Grenzen des Team-Coachings anhand eines konkreten Fallbeispiels beschrieben.

Ein laufendes Team-Coaching wird – im Sinne einer Halbzeitanalyse – anhand der bisherigen Stationen analysiert und reflektiert.

Kontext des Team-Coaching

Das Fallbeispiel betrifft ein mittelständisches Unternehmen im Großraum Wien, das sich in einem grundlegenden Veränderungsprozess befindet. Das Team-Coaching unterstützt das Top-Managementteam des Unternehmens, das auch den Teilnehmerkreis bildet. Darüber hinaus ist es ein klar definierter Baustein der Veränderungsarchitektur.

Aus Praktikabilitätsgründen findet das Team-Coaching einmal pro Monat nachmittags in einem Hotel in der Nähe des Unternehmenssitzes statt. Anschließend gibt es ein gemeinsames Abendessen. Die Eingangsdiagnostik zum Team-Coaching führten wir mittels Leadership Potenzial Evaluation (LPE) mit schriftlichem Report und 2-stündigem Rückmeldegespräch durch.

Das Coaching wird von zwei Coaches gemeinsam geleitet, Petra Schulte und mir, um eine gemeinsame Reflexions- und Austauschpraxis zum Prozess zu ermöglichen. In der Begleitung von Veränderungsprozessen ist es notwendig, dem Kundensystem gegenüber als Coachsystem zu agieren.

Der Geschäftsführer des Unternehmens, als Teil des Managementteams, ist auch Teilnehmer im Team-Coaching. Dies bringt besonders zu Beginn Klärungsprozesse im Hinblick auf unterschiedliche Rollen mit sich. Einerseits ist er Geschäftsführer mit der hierarchischen Verantwortung und dem daraus generierten Wunsch nach „Steuerung“ der Team-Coaching Gruppe. Andererseits ist er aber auch Teilnehmer auf Augenhöhe mit allen anderen. Dies ist an sich kein Problem, wenn die Rollen klar differenziert und artikuliert sind und im Agieren nicht ineinander verschwimmen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten und Feedback durch die Coaches gelingt dem Geschäftsführer die Rollendifferenzierung von Modul zu Modul besser.

Ziele des Team-Coachings

Gemeinsam soll im Managementteam der Bedarf oder der sense of urgency für den anstehenden Change Prozess generiert und in die Organisation getragen werden. Ein weiteres Ziel ist die Definition der gemeinsamen Richtung und der gemeinsamen Sprachlichkeit im Hinblick auf die Führungskultur. Zusätzlicher Fokus ist die Stärkung der gegenseitigen Vertrauensbasis im Managementteam als Ausgangspunkt für die kommenden Herausforderungen des Veränderungsprozesses.

Prozess des Team-Coachings

Modul 1 ist geprägt von einer ausführlichen Abfrage der Erwartungen an das Team-Coaching. Ebenso werden der Rahmen des Team-Coachings und zentrale methodische Aspekte, beispielsweise die Peerpartnerschaften, vorgestellt. In der Gruppe herrscht Aufbruchsstimmung und Committment für das Team-Coaching, bei gleichzeitiger Distanz und Vorsicht demgegenüber, was das Team-Coaching genau bringen wird. Das Team-Coaching wird als Wertschätzung und Unterstützung für den geleisteten Einsatz als Führungskraft wahrgenommen. Gleichzeitig schwingen wohl auch irrationale Erwartungen mit, dass sich dadurch der Veränderungsprozess leicht und schmerzlos bewerkstelligen lässt.

In Modul 2 werden das Managementteam und damit die Gruppe um eine Person erweitert. Die einzige Frau in der Gruppe übernimmt die Bereiche HR und Recht und wird mit offenen Armen empfangen.

Die Diskussionen in der Gruppe sind zurückhaltend. „Heiße Themen“ werden nicht offen auf den Tisch gelegt, sondern in Form von unpersönlichen Appellen wie zum Beispiel „Irgendwer sollte irgendetwas tun“ adressiert.

Die Themen des Moduls sind zweifach. Einmal geht es um die Vereinbarungsqualität im Managementteam. Dieses Thema wird durch Erfahrungen von nicht eingehaltenen Vereinbarungen gespeist. Die Diskussion dazu zieht ermüdende Schleifen. Den zweiten Themenblock bildet die Präsentation einer, im Vorfeld des Team-Coachings durchgeführten Organisationsanalyse. Die Ergebnisse werden in Form von Hypothesen zu Stärken und Entwicklungsfeldern vorgestellt. Dies wird mit großem Interesse aufgenommen und führt zu Betroffenheit in Bezug auf einzelne Hypothesen (Beispiel: „Führung im Unternehmen führt nicht“) und zu intensiver Diskussion. Zudem wird die Bedeutung einer einheitlich gelebten und reflektierten Führungskultur greifbar.

In Modul 3 wird die Thematik des Einhaltens von Vereinbarungen nochmals aufgegriffen. In der einleitenden Diskussion dazu werden von einzelnen Teilnehmern dieses Mal auch schwierigere Punkte und Tabuthemen artikuliert (Beispiel: Ein Bereich im Unternehmen wird als Bereich mit „Sonderstellung“ wahrgenommen). Die gegenseitige Vertrauensbasis erscheint gestärkt und wächst weiter. Teilweise sprechen sich die Teilnehmer, manchmal noch mit Unterstützung durch die Coaches, bereits direkt an („Josef, Du hast …“ (Vorname geändert), ohne den Umweg über „man sollte“ oder „man müsste“.

Von einzelnen Teilnehmern wird die Zielsetzung des Team-Coachings hinterfragt. Die Coaches setzen das Team-Coaching in den größeren Kontext der gesamten Veränderungsarchitektur. Das erzeugt Verständnis, siehe beispielsweise folgendes Statement: „Nun ist mir das große Bild wesentlich klarer vor Augen. Ich weiß jetzt, wie alles zusammenhängt“.

In der Abschlussrunde äußern die Teilnehmer den Wunsch, dass auf individuelle Führungsthemen verstärkt eingegangen wird. Diskussionen zu Themen des Miteinander und der Organisationskultur werden als „abgehoben“ und „ermüdend“ wahrgenommen.

Modul 4 bringt eine Wendung zu einem stärker individuell geprägten Thema, nämlich der „idealen Führungskraft“. Die Teilnehmer fertigen eine Zeichnung zu ihrer Vorstellung von der idealen Führungskraft an, stellen diese in Kleingruppen vor und erhalten Feedback im Sinne eines Reflecting Teams. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel einer solchen Zeichnung. Diese Übung kommt sehr gut an, insbesondere der Part des Reflecting Teams wird interessiert aufgenommen. Die Teilnehmer haben das Gefühl, „etwas für sich (persönlich)“ zu bekommen.

Modul 5: In den bisherigen Modulen war das Thema Vereinbarungsqualität auf einer eher faktenorientierten Meta-Ebene wichtig. Das Statement „Wir treffen eine Vereinbarung zum Einhalten von Vereinbarungen“ bringt dies auf den Punkt.

In diesem Modul ändert sich die Perspektive. Die Fragestellung ist nun, wie das Einhalten von Vereinbarungen gefördert werden kann. Das Thema Wertschätzung nimmt dabei breiten Raum ein. Eine intensive Feedbackübung unterstützt die Gruppe zu reflektieren, wie jeder Einzelne Respekt und Wertschätzung in seinem täglichen Arbeitsumfeld lebt und wo es noch etwas zu verbessern gibt. Das Modul und insbesondere die Feedbackübung führen die Gruppe noch mehr zusammen.

Modul 6: Ein Teilnehmer verlässt das Unternehmen und damit auch die Team-Coaching Gruppe. Die Gruppe ersinnt ein Verabschiedungsritual für den scheidenden Kollegen. Die Gruppenarbeiten zur Kreation des Abschiedsrituals erzeugen allerdings starke Widerstände. Für einzelne Teilnehmer ist es merklich schwierig, über emotionale Themen so direkt zu sprechen.

Im Rest des Moduls liegt der Fokus auf Führungskommunikation. Verschiedene Führungssituationen werden gesammelt. Eine Situation wird ausgewählt und ein Rollenspielsetting dazu kreiert. Das praktische Tun und insbesondere das anschließende Feedback werden wieder sehr positiv aufgenommen.

Rückmeldung des Geschäftsführers in der Abschlussrunde: Der Gruppenzusammenhalt und das selbstverantwortliche Arbeiten, dass zum Beispiel keine Hochdelegation mehr bezüglich bestimmter Themen stattfindet, zeigen sich als positive Auswirkung und sind für ihn merkbare Verbesserungen aus dem Team-Coaching.

Im Vorfeld zu Modul 7 findet ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer, der HR-Verantwortlichen und den Coaches statt. Im Zentrum stehen Anliegen, die aus dem Teilnehmerkreis an sie herangetragen wurden:

  1. Die Teilnehmer verlieren zunehmend die anfängliche Begeisterung für das Team-Coaching-Programm. Das Programm wird mehr und mehr als Pflichtveranstaltung erlebt.
  2. Der Geschäftsführer hat zudem das Gefühl, dass die Führungskräfte die Energie im Veränderungsprozess verlieren. Sie wissen nicht, wo sie stehen. Ein aktuell wahrgenommenes Gefühl der Orientierungslosigkeit wird wieder, wie schon in Modul 3, über das Team-Coaching artikuliert.

Hier wirkt das Team-Coaching wie ein Katalysator, der wichtige Themen, die sich im Untergrund, nämlich im Organisationsunbewussten bilden, zum Ausdruck bringt. Es verweist darauf, dass die Kommunikation zum Veränderungsprozess offenbar nicht von jedem verstanden wird.

Diese Themen werden von den Coaches in Modul 7 aufgenommen. In einem iterativen Prozess mit Kleingruppenarbeiten, Sharing im Plenum und weiteren Kleingruppen wird eine Formulierung für ein gemeinsames Zielbild ausgearbeitet. Dieses soll die Orientierung bezüglich der Unternehmensrichtung stärken und damit individuell wie auch der Gruppe als Ganzes Sicherheit geben.

Das Thema des Moduls verweist auf eine grundsätzliche Problematik in diesem patriarchalisch geführten Unternehmenssystem. Die Organisationskultur bietet keine Rollenmodelle und Best Practice Beispiele dafür, sich als Führungskraft eigenverantwortlich zu positionieren. Wenn der Eigentümer gerne und unvorhersehbar über den Geschäftsführer hinweg in die Tagespolitik eingreift, bleibt für die Eigenverantwortlichkeit der Führungskräfte nur noch wenig Raum.

Zusammenfassende Reflexion

Das Team-Coaching ist zum Zeitpunkt dieser Zwischenanalyse in der Sommerpause. Die Module für den Herbst sind bereits im Kalender eingetragen. Es geht also weiter.

In der Prozessbeschreibung werden einige wichtige Aspekte sichtbar. So bringen manche Teilnehmer spezifische Rollenkombinationen in das Team-Coaching mit. Neben dem Geschäftsführer, der als Beispiel angeführt wurde, gilt dies auch für HR-Verantwortliche. Werden die unterschiedlichen Rollen nicht bewusst artikuliert, sondern undifferenziert ausagiert, besteht die Gefahr, die Coaches in ihrem Tun auszuhebeln. Signale der Coaches werden leicht konterkariert, mit dem Ergebnis, dass die restlichen Teilnehmer in einer Double-Bind-Situation landen.

Ebenfalls komplex ist das Pendeln zwischen team- und organisationskulturell orientierten Themen und individuellen oder persönlichkeitsorientierten Themen. Die Module 4, 5 und 6 zeigen ein deutlich individuelles Moment, während die Module 2, 3 und 7 stärker den Charakter der Teamzusammenarbeit, der Führungskultur und der Orientierung im Veränderungsprozess betonen. Hier spiegeln sich die zu Beginn definierten Ziele des Team-Coachings und verweisen auf dessen Bedeutung für das Managementteam. Das Team-Coaching ist ein Raum, der Begegnung, Abgleich und gegenseitige Stützung im Veränderungsprozess ermöglicht.

Die Meta-Themen wie Führungskultur und Teamzusammenarbeit kosten deutlich mehr Energie in der Auseinandersetzung und führen zu zähen Schleifen in der Diskussion, auch wenn am Ende das Gefühl überwiegt, als Gruppe bzw. Team einen Schritt nach vorn getan zu haben.

Deutlich erkennbar wird auch die Festigung der Vertrauensbasis innerhalb des Managementteams über die einzelnen Module hinweg. Dies ist nicht nur der Eindruck der Coaches, sondern wird durch konkrete Rückmeldungen aus dem Teilnehmerkreis bestätigt. Teilnehmer, die bei einzelnen Modulen fehlen, werden sehr gut durch ihre Peer-Partner eingebunden und gebrieft. Die Peer-Partnerschaften bewähren sich grundsätzlich als zusätzlicher Austauschraum für die Themen der einzelnen Module.

Abschließende Betrachtung meiner Projektkollegin Petra Schulte nach dem 10. Modul:

Wie Gerhard Liska analysiert und in seiner Reflexion beschreibt, hat sich die Gruppe in den ersten sieben Modulen durch unterschiedliche Entwicklungsphasen bewegt. In Modul 9 findet sie durch die vertrauensstärkende Unterstützung in einer intensiven Konfliktbearbeitung und einer weiteren kollegialen Verabschiedung die Energie, ihren Bedarf gemeinsam zu artikulieren. Die Gruppe entwickelt zwei Neuerungen für ihr Team-Coaching.

Die individuellen Unterschiedlichkeiten bekommen dabei weiterhin Raum, doch steht ein Gesamtanliegen als Forderung im Zentrum: Die Reflexionsmöglichkeiten und die weitere Arbeit an der eigenen Führungshaltung sollen im zukünftigen Team-Coaching im neuen Jahr durch ausgedehnte Zeitfenster von 1,25 Tagen intensiviert und weitgehend ohne den Geschäftsführer stattfinden. Auch die Coaches werden nur bei gemeinsam erkanntem Bedarf hinzugezogen.

Die Frequenz reduziert sich vom monatlichen Team-Coaching auf einen 6-8 Wochenrhythmus, womit das Team einen lang gehegten Wunsch realisiert: Sie wollen eine zeitliche Ausdehnung der gemeinsamen Reflexionszeit, um Konflikte lösend zu bearbeiten. Damit strukturiert sich auch ihr Arbeitsalltag leichter. Sie wollen zudem ein ausgesprochenes Einlassen aufeinander durch die private Widmung eines jeweils vorangehenden gemeinsamen Abends. Die Team-Coaching-Einheiten finden mit Hotelübernachtung statt. Die Coaches und der Geschäftsführer werden unabhängig von einander situativ jeweils dann eingeladen, wenn das Team sich Austausch oder konkrete Beiträge wünscht.

Das Team-Coaching wird im weiteren Verlauf auf seinen Titel zu diskutieren sein, weil das neue Format eher an eine Intravision erinnert, zumal die Coaches nicht immer teilnehmen.

Als weiteres Element führt die Gruppe das monatliche Design-Café ein, das zu festgelegten Freitagen regelmäßig als Themenaustausch und Entwicklungsabgleich im Rahmen ihrer Arbeitszeit stattfindet. Die Gastgeberrolle rotiert in der Gruppe. Zielsetzung des Design-Cafés ist vor allem die monatliche Festlegung des Team-Coaching Fokus und die organisatorische Gestaltung des Coaching.

Die vormals als Gruppe bezeichnete Personenkonstellation ist gemeinschaftlich als Team zu dieser Entscheidung gekommen und hält sie im Gegensatz zu früheren Vereinbarungen einstimmig und in ihrer Form stabil aufrecht. Ausschlaggebend beigetragen hat zu diesem Zusammenschluss der vor dem Team durch Doppeln bearbeitete Zwei-Personen-Konflikt in Modul 9.

Wir dürfen dieses Management Team als sich entwickelndes Team bezeichnen. Die Autonomie der Einzelpersonen hat sich in den bereits 11 Monaten des Team-Coaching deutlich gestärkt. Die Vereinbarungsstärke des Teams kristallisiert sich als verlässliche Kompetenz und nutzbare Kraft heraus.

Hier ist ein Team gewachsen.