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Wir müssen reden!

Kritische Gespräche verstehen und reflektieren

19.04.2019Kerstin Schraufstetter

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„Wenn es am meisten drauf ankommt, kann ich mich auf meine grauen Zellen am wenigsten verlassen.“ Kennen Sie das auch? Ich befinde mich im Gespräch mit einem Kollegen, und auf einmal wird es brenzlig. Plötzlich stehe ich unter Strom, meine Hände werden feucht, ich spüre, wie sich meine Gesichtsfarbe verändert. Bei der verzweifelten Suche nach einer souveränen und schlagfertigen Antwort, lässt mich mein sonst recht zuverlässiges Gehirn im Stich. Kurz und knapp: ich bin im Stress.

Besonders Führungskräfte finden sich oft in Situationen wieder, in denen sie kritisches Feedback geben oder unangenehme Themen ansprechen müssen. Da heißt es, die eigene Position zu vertreten, die eigenen Emotionen zu zügeln, die richtigen Worte zu finden und konstruktiv zu bleiben – doch leichter gesagt, als getan. Was passiert denn nun genau mit uns in diesen Gesprächssituationen?

Kritische Gespräche - Was geschieht dabei mit uns?

Lassen Sie uns von vorne anfangen und zunächst einmal klären, was wir denn unter kritischen Gesprächen verstehen. An dieser Stelle schlage ich eine pragmatische Definition vor, die uns gleichzeitig mögliche Handlungsansätze aufzeigt. Wir sprechen von kritischen Gesprächen, wenn:

Gespräche werden zu kritischen Gesprächen, wenn wir bedingt durch diese drei Merkmale in einer Stresssituation sind. Wir haben die Kontrolle über die Situation verloren, und es fühlt sich so an, als laufe ein automatisches Programm ab, auf das wir keinen Einfluss mehr haben. Das stimmt ansatzweise auch. Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, in Stresssituationen zuverlässig und vor allem extrem schnell zu funktionieren – beinahe reflexartig. Evolutionsbiologisch stammt dieser Schnellschuss aus der Zeit, als unseren Vorfahren typische Gefahren in Form gefährlicher Tiere begegneten. Eine schnelle Reaktion war überlebenswichtig und lautete: Kampf oder Flucht. Beide Fälle bewirken intensive körperliche Aktivität und Anregung derjenigen Funktionen, die für die Bewältigungsreaktion notwendig sind: Atmung, Kreislauf, Energiebereitstellung

Wie unser Reptilienhirn in kritischen Gesprächen aktiv wird

Kommt in unserem Gehirn die Information „Gefahr“ an, übernimmt das limbische System, unser „Reptiliengehirn“, die Kontrolle und setzt unverzüglich, ohne die Bewertung und Einschätzung durch den Kortex, unser „Denkhirns“, abzuwarten, die Stressreaktion in Gang. Der Vorteil dieses bildlichen „Rufs zu den Waffen“ ist, dass die Reaktion in Bruchteilen von Sekunden vollzogen wird. Diese Schutzreaktion hat aber auch den Nachteil, dass sich die oft heftigen körperlichen und emotionalen Reaktionen im Nachhinein als unangemessen herausstellen.

Reflexionsfragen

Mittlerweile haben sich unsere Umwelt und die typischen Anforderungssituationen geändert, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Die körperliche Aktivierung ist meist nicht nur wenig hilfreich, sondern behindert sogar die Bewältigung unserer modernen Anforderungen. Was bedeutet das in der Zusammenfassung für unsere kritischen Gespräche?

Erste Hilfe und wirksame Lösungsschritte

Das klingt erst einmal so, als wären wir diesem Notprogramm hilflos ausgeliefert. Wir verfügen doch sonst auch über die Fähigkeit zum differenzierten Denken. Wie bekommen wir nun unseren Kortex wieder ins Spiel, der uns mit Hilfe seiner kognitiven Abwägungen, Einschätzungen und Entscheidungen in die Lage versetzt, differenziert zu denken?

StressbremseJetzt, da wir wieder Zugriff auf unser komplexes Denken haben, lassen Sie uns anhand eines konkreten Beispiels die einzelnen Schritte der Wahrnehmungskette analysieren, die zur Entstehung der Emotionen und der Stressreaktion geführt haben.

1.      Wahrnehmung einer Situation

Sie sind Führungskraft und das Teammeeting steht an. Es ist 09:00 Uhr. Alle Ihre Mitarbeiter - bis auf einen - sind da. Sie warten. Es ist bereits 09:10 Uhr. Es ist nun das dritte Mal in Folge, dass Ihr Mitarbeiter zu spät kommt. Sie haben ihn bereits das letzte Mal um Pünktlichkeit gebeten.

2.      Interpretationen und Gedanken

Nun bewerten wir diese Situation und machen uns unsere Gedanken. Diese können je nach Person sehr unterschiedlich ausfallen. Hier eine mögliche Auswahl:

3.      Gefühle

Diese Interpretationen lösen Gefühle bei uns aus. D.h. nicht die reinen Fakten sind für unsere Gefühle verantwortlich, sondern die Bedeutung, die wir den Tatsachen beimessen. In unserem Fall könnte das dann so aussehen:

4.      Handeln

Auf Grundlage dieser Gefühle handeln wir, was sich wie folgt äußern könnte:

Die gute Botschaft aus unserer Analyse lautet: Nicht unsere Mitmenschen, sondern wir sind für unsere Emotionen verantwortlich, da die Gefühle durch unsere Gedanken und Interpretationen entstehen. Und damit haben wir sehr wohl einen Einfluss auf den Verlauf von kritischen Gesprächen. Was können wir also in der konkreten Situation tun?

Wahrnehmungskette

Die richtige Haltung macht’s: Gespräche auf Augenhöhe führen

Bevor wir in das kritische Gespräch starten, lassen Sie uns nochmal einige grundsätzliche Fragen klären:

Der Knackpunkt ist oft nicht, was wir sagen oder wie wir formulieren, sondern mit welcher Absicht wir es tun. Möchten Sie dem chaotischen Kollegen endlich beibringen, ordentlich zu sein, da Ihnen persönlich Ordnung sehr wichtig ist? Möchten Sie zeigen, dass Sie im Recht sind und vielleicht schon immer recht hatten? Oder geht es Ihnen darum, den Kollegen bei seiner Abwesenheit auch vertreten zu können? Ist das Kritikgespräch nur ein Einstieg, um den ungeliebten Mitarbeiter loszuwerden? Oder möchten Sie gemeinsam mit Ihrem Mitarbeiter die Situation klären, um in Zukunft Fehler zu vermeiden? Hand aufs Herz – was ist Ihr eigentliches Motiv? Was steckt dahinter?

Warum ist die Klärung unserer unausgesprochenen Motive und Gesprächsziele so wichtig? Sie beeinflussen den Verlauf des Gesprächs erheblich. Unsere unausgesprochenen Motive bahnen sich ihren Weg und verraten sich durch unsere Mimik und Gestik. Wenn das Gesagte mit der nonverbalen Kommunikation nicht übereinstimmt, löst das beim Gegenüber Irritationen aus. Wir wirken unglaubwürdig. Studien haben gezeigt, dass wir bei nicht stimmiger Kommunikation dem nonverbalen Ausdruck (55%) und der Stimme und Intonation (38%) deutlich mehr Glaubwürdigkeit beimessen als dem gesprochenen Wort (7%).

Reflexionsfragen

Die Klärung der Motive ist der erste Schritt für ein gelungenes Gespräch auf Augenhöhe. Die Grundidee der Kommunikation auf Augenhöhe ist: Je mehr sich der andere öffnet, desto mehr Informationen stehen zur Verfügung und desto größer ist die Chance, eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden. Um sich zu öffnen und dem anderen ehrlich mitzuteilen, worum es wirklich geht, brauchen wir das Gefühl, unserem Gesprächspartner vertrauen zu können. Das ist die Grundlage für ein konstruktives Gespräch auf Augenhöhe. Das bedeutet, die Meinungen, Interessen, Wünsche und Zielsetzungen des Gesprächspartners zu tolerieren und zu akzeptieren. Für die Praxis heißt das:

1.      Den Gesprächspartner ernst nehmen.

2.      Dem Gesprächspartner zuhören.

3.      Sich für die Sichtweise des Gesprächspartners interessieren.

Diese Grundhaltung ist wesentlich für den Erfolg der Gespräche – davon bin ich überzeugt. In meinem nächsten Blogpost zum Thema „Wir müssen reden! – Kritische Gespräche, Teil 2“ werde ich mich den Methoden widmen, die Ihnen dabei helfen, diese Haltung im Gespräch zum Ausdruck zu bringen. Sie bieten Struktur und Hilfestellung dabei, die Haltung auch so zu vermitteln, dass sie bei Ihrem Gegenüber ankommt.

Literatur: